PORTRAIT
| vita kempin & reznik |

Daniel Kempin –
Musiker einer außergewöhnlichen Familie
Eine ungewöhnliche Familie, diese Kempins. Der eine Sohn ist Kirchenmusiker einer katholischen Gemeinde in Deutschland. Der andere lebt in Jerusalem und ist überzeugter Christ mit jüdischem Selbstbewußtsein. Der dritte, Daniel Kempin, war Christ und kehrte als junger Mann zum Glauben seiner Vorfahren, zum Judentum zurück. Eines indes haben sie gemeinsam: Sie sind allesamt gute Musiker. Die Begabung erbten sie von ihren Eltern, die als Kirchenmusiker ihren Lebensunterhalt verdienten.

Daniel Kempin trägt seine Lieder in einer Sprache vor, die seine Eltern kaum verstanden hätten und die er selber erst mühsam erlernen mußte: in Jiddisch. „Ven er tseshpilt zikh mit zayn fidl, oy, mame, vert mir gut on a shir“, singt Daniel Kempin auf seiner CD benkshaft (Sehnsucht), für die er mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde: „Wenn er auf seiner Fiedel spielt, oh, Mama, geht’s mir unendlich gut!“: Daß der „Klezmer-Junge“ einem Mädchen leicht den Kopf verdreht, kann man verstehen, wenn man der mitreißenden Klezmer-Musik lauscht, die Daniel Kempin wie vor ihm schon viele Generationen jüdischer Musiker meisterhaft vorträgt.

Es sind nicht nur lustige Liebeslieder, die Kempin zum Besten gibt. „arbetloze zenen mir, on a beged on a heym“ (Arbeitslose, das sind wir, ohne Kleidung, ohne ein Zuhause) heißt es im arbetloze-marsh des Dichters Mordechai Gebirtig, der 1942 im Krakauer Ghetto ermordet wurde. Ihm hat Kempin eine eigene CD gewidmet: das Krakow ghetto-notebook, aufgenommen im Auftrag des Holocaust Memorial Museums in Washington.

Jiddische Kultur entsteht nicht nur in Israel, sondern vorwiegend in der „Galluth“, im Exil. Amerika – das ist für Daniel Kempin ein Zauberwort. Er liebt die Selbstverständlichkeit des Alltags dort. »Das jüdische Leben ist viel differenzierter. In Crown Heights etwa, einem Teil von Brooklyn, gibt es koschere Fast-Food-Restaurants«. Auch die Toleranz und das religiöse Leben haben ihn tief beeindruckt: »In Deutschland geht man nicht in ein Gebetshaus, sondern in ein Hochsicherheitsgebäude«, bedauert er. Seither ist der in Wiesbaden geborene und im Rhein-Main-Gebiet lebende Kempin auch in Amerika ein in der jüdischen Community bekannter Künstler.

In Deutschland hingegen singt er weniger für ein jüdisches als für ein allgemeines Publikum. „Verwirrung“ kennzeichnet zuweilen die Reaktion einiger Konzertbesucher. »Man hat mir schon zu meinem „guten Deutsch“ gratuliert!«. Oder er wird gefragt, wo in Israel er geboren sei, denn als Jude könne er ja kein Deutscher sein. Es gab auch den Hausmeister, der sich weigert, ihm einen Barhocker auf die Bühne zu stellen. Begründung: Das sei die typisch jüdische Arroganz, daß Juden immer über den anderen Menschen sitzen wollen.

Den Reichtum eben dieser jüdischen Kultur auch Nichtjuden zu vermitteln, ist Kempins Anliegen. Wenn er in seinem Programm jiddische Lieder vom Mittelalter bis zur jüngeren Gegenwart vorträgt, ist er in gewisser Weise auch ein Historiker, der anhand von Musikdichtung jüdische Geschichte lebendig macht. Manch ein jüdisches Volkslied hat Kempin dem Vergessen entrissen, indem er es – z. B. in Jerusalem – mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet und in sein Repertoire übernommen hat. Dort besuchte er auch eine Talmud-Hochschule, die er trotz des Golfkrieges nicht verließ.

Sein Jiddisch hat Kempin in Intensivkursen in England und Israel gelernt. Dieser von den Juden in Osteuropa gesprochene Slang ist übrigens kein Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache mit eigener Grammatik und eigenem Wortschatz. Obwohl seit der weitgehenden Vernichtung des osteuropäischen Judentums im Holocaust und der Gründung Israels immer weniger Menschen Jiddisch sprechen, glaubt Kempin nicht an das Aussterben dieser Sprache. Seit 100 Jahren werde der Tod des Jiddischen vorausgesagt, erzählt er, und immer wieder habe es Erneuerungsbewegungen gegeben. In dieser Kunstform gilt er als einer der führenden Künstler in Deutschland.

Auch mit der jüdischen Musik hat Kempin seine jüdische Identität gefunden. Er ist nicht zum Judentum konvertiert, sondern hat, so sagt er, die Entscheidung seiner Großmutter rückgängig gemacht. Diese hatte sich ebenso wie seine Mutter in der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung taufen lassen.

Daniel Kempin hat sich in einem zehnjährigen inneren Kampf für den jüdischen Glauben entschieden. Doch auch hier ist der Künstler in einer gewissen Weise zerrissen: Einerseits gehört er als Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde Mainz an, andererseits ist er auch Vorstandsmitglied der Frankfurter Kehillah Chadaschah.

Kein Wunder: Daniel Kempin entstammt nun einmal einer außergewöhnlichen Familie.
Wesentliche Auszüge
übernommen aus der
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung
vom 11. Juni 1999
von Hans Riebsamen